15.05.2018

 LeBen, Arbeiten mit Einschränkungen – Gemeinschaft verwirklichen

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Religionsunterricht vor Ort  

„Herzlich willkommen in Bethel. Mein Name ist Axel Schulz. Schön, dass ihr da seid. Wir werden zusammen einen spannenden Tag miteinander erleben.“ Und das war er dann auch.

Eingeteilt in 3 Module ging es mit einem Quiz rund um Bethel in spielerisch-informativer Weise los. Dabei erfuhren wir, der Relikurs der 8a/c, dass mehr als 17 000 Mitarbeiter/innen sich in Bethel für kranke, behinderte, pflegebedürftige oder sozial benachteiligte Menschen engagieren und dass diese Einrichtung vielfältige Unterstützungsangebote in den Bereichen Behindertenhilfe, Jugendhilfe, Psychiatrie, Sucht, Wohnungslosenhilfe sowie Arbeit und Rehabilitation anbietet. Ein menschenwürdiges Leben bis zuletzt ermöglicht sterbenden Menschen zudem die Hospizarbeit.

Im Quiz integriert waren auch Aktionen, die jeder Kleingruppe bei erfolgreicher Ausführung Punkte verschafften. Alle Aktionen zeigten die verschiedenen Arten von Handicaps:

Luis übernahm die Rolle eines Menschen, der keine Arme hatte und nun einen Begriff aufschreiben sollte, den die anderen Gruppenmitglieder erraten mussten – und das nur mit seinem Mund!  - Hemmungen ablegen, tief durchatmen und los!  -   Mithilfe eines vorher desinfizierten und mit Folie abgeklebten Eddings gelang ihm das mit Bravour.
Das Eis war gebrochen …. Alle anderen Gruppen wagten nun, noch offenstehende Aktionen anzuwählen.
Jule musste innerhalb einer Minute versuchen mit einer Hand ein Herrenhemd zuzuknöpfen, was ihr eigenständig nur zum Teil gelang, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätte, sich Hilfe einzufordern. Doch hatte Herr Schulz diesen Hinweis bewusst verschwiegen, um deutlich zu machen, dass es zunächst oberstes Gebot ist, jedem Menschen mit Handicap die Selbständigkeit zu erhalten. Wenn er Hilfe brauche, müsse er um Hilfe bitten bzw. diejenigen, die ihm helfen möchten, müssten zunächst fragen, ob er Hilfe brauche, ob man ihm helfen dürfe und wie man ihm helfen könne. Jegliches gut gemeintes voreiliges Handeln würde ihn entmündigen und ihn positiv diskriminieren.
             
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Jonas war in einer anderen Disziplin gefordert: Er musste versuchen in derselben Zeit wie Jule den Gesamtbetrag der sich in einem blickdichten Beutel befindlichen Münzen zu ertasten. Nils und Jan erprobten sich darin, innerhalb der gesetzten Zeit mit der linken Hand Briefmarken auszuschneiden, Inken jedoch sollte mit einem Rollstuhl Slalom fahren, dabei eine Zeitung von einem Ständer holen und erfuhr so nebenbei, mit welchen Barrieren ein körperbehinderter Mensch zu kämpfen hat.

Das zweite Modul schloss sich nahtlos an: Jede Kleingruppe erhielt ein Foto mit einem Gebäude, das sie in der Ortschaft finden und darüber Informationen einholen musste, um sie dann in einer Auswertungsrunde den anderen Gruppen vorzustellen.

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Die Fotoralley führte sie zu einem der ältesten Betriebe Bethels, die Brockensammlung, kurz Brosa genannt, mit dem Schriftzug „Sammelt die Brocken, auf dass nichts umkomme“ (Joh. 6,12).
Die Läden der Brosa bieten Bekleidung, Haushaltswaren und Antikes zu einem günstigen Preis und garantieren vielen Menschen mit Behinderungen einen Arbeitsplatz.

Alt-Ebenezer und die Werkstatt Spielkiste mit dem Laden Mobilé waren die nächsten Gebäude.

Durch die Präsentation der Gruppe erfuhren wir, dass die Menschen früher in den Pflegehäusern in Bethel in großen Schlafsälen mit vielen anderen zusammen untergebracht waren. Mithilfe eines Torfbettes wurde das Problem des Einnässens gelöst. Das Material hat die Eigenschaft, ähnlich dem Katzenstreu, Urin aufzusaugen und zu  binden und konnte problemlos entsorgt werden. Außerdem verhinderte es durch gute Anpassungsfähigkeit das sogenannte Wundliegen.

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In der Werkstatt „Spielkiste“ arbeiten Menschen mit psychischen Krankheiten. Hier werden Holz- und textile Produkte hergestellt.

Die Buchhandlung des Ortes, die 1879 gegründet wurde, ist ein gutes Beispiel für gelungene Inklusion – sie bietet jeweils 5 behinderten und nicht-behinderten Menschen eine Beschäftigung.

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Das 1869 gegründete ehemalige Mutterhaus der Westfälischen Diakonissenanstalt Sarepta bot damals unverheirateten Frauen eine gesellschaftlich anerkannte berufliche Qualifikation und dient heute als Ausbildungsstätte für pflegnerische Berufe im Gesundheitswesen.

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Weitere Wege führten zur Zionskirche, zur Waldkirche, dem Künstlerhaus Lydda, zur Mamre-Patmos-Schule, die eine integrative, barrierefreie Schule für lern-, geistig, körperlich und mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche ist, und zum renommierten und überregionalen Epilepsie-Zentrum Bethels mit den Kliniken Mara I und Kidron sowie zu Werkstätten für Verpackung und Montage (VerMont), einer Handweberei, Druckerei und einem Direktversand.
So gelang es innerhalb kürzester Zeit, sich über die einzelnen wichtigen Einrichtungen Bethels zu informieren und schon vorweg mit in Bethel lebenden Menschen in Kontakt zu treten. Einhellige Meinung aller Gruppen: „Das war spitze!“
Modul 3 war das Schwierigste: Gespräche mit Menschen aus Bethel, die sich auf uns freuten. Bloß, was dürfen wir fragen, was eher nicht, wie sprechen wir sie an? Was erwartet uns/mich? Was, wenn der Gesprächsfluss ins Stocken gerät?
Einige Szenarien wurden „durchgespielt“, als Hilfen standen natürlich immer die begleitenden Lehrerinnen, Frau Rüßing und Frau Dahmen,  zur Seite. Und dann erschienen sie, zwei freundliche Gesprächspartner, unterschiedlichen Geschlechts mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen: Eine verheiratete Frau mit Epilepsie als Handicap und der Junggeselle Rüdiger, 59 Jahre alt, mehrfach behindert -  Brillenträger, schwerhörig, gehbehindert, Stotterer, leichte geistige Behinderung in Kombination mit einer Form des Autismus.

Die Großgruppe wurde in 2 Kleingruppen aufgeteilt und machte mit den jeweiligen Gesprächspartnern unterschiedliche Erfahrungen. Die anfängliche Verhaltenheit wich in der ersten Gruppe schnell, zumal Frau Dahmen Rüdiger kannte und er außer sich vor Freude war, dass man sich noch nach 3 Jahren an ihn erinnerte. Wir erfuhren einiges über sein Leben in Bethel, seine Familie, seine Arbeit, seine Vorlieben und Hobbies, seine Wünsche und vor allem über seine Fähigkeiten: Er kennt alle Autokennzeichen und kann sich Geburtstage nach einmaligem Hören oder Lesen dauerhaft merken. Wir nannten reihum unsere Geburtstage, worauf er die Namen von Prominenten, deren Geburtstag auf demselben Tag liegen, zu 99% treffsicher nennen konnte.  Eine wandelnde Festplatte. Wir hatten viel Spaß miteinander. Und Rüdiger? Freudig erregt und glücklich darüber, dass er nicht in Vergessenheit geraten war, baute er sich vor Herrn Schulz auf: „Wirklich, die wussten noch, wer ich bin!“, und entschwand  beseelt, immer wieder den Satz skandierend, in seine 30 qm große Wohnung.
Eindeutig das Nachhaltigste des Tages! Nicht weil der Kontakt, die Begegnung so gut gelungen war, sondern darüber hinaus allen gezeigt hat, dass allgemein eine Scheu überwunden werden sollte, mit behinderten Menschen  in Kontakt zu kommen, sich auf ein Gespräch einzulassen, sich Zeit zu nehmen und auch Geduld beim Zuhören zu haben.
Rüdiger hat uns erneut wie beim letzten Besuch die Angst davor genommen.       

Übrigens ist       Angst,

in welcher Form auch immer, einer der Hauptgründe für Diskriminierung, positive wie negative. Lasst sie uns überwinden durch weitere Besuche, vielleicht auch in anderen Fächern!
Text und Bilder: Gislinde Dahmen



Letzte Änderung: 15.05.2018